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Call for Articles: Die andere Seite der Verfolgung. Selbstzeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts revisited

Die ande­re Sei­te der Ver­fol­gung. Selbst­zeug­nis­se des 19. und 20. Jahr­hun­derts revi­si­ted ist ein Quel­len­por­tal zu Selbst­zeug­nis­sen, die von Ver­fol­gung berich­ten. Auf der Online-Platt­form wer­den Selbst­zeug­nis­se ver­folg­ter Men­schen als his­to­ri­sche Quel­len vor­ge­stellt und ihr Poten­ti­al für die his­to­ri­sche For­schungs- und Bil­dungs­ar­beit unter­sucht. Ein wei­ter Begriff von Ver­fol­gung umfasst dabei poli­ti­sche, ras­sis­ti­sche, anti­se­mi­ti­sche, sozi­al­dar­wi­nis­ti­sche oder reli­giö­se Moti­ve sowie Ver­fol­gung auf Basis von sexu­el­ler Ori­en­tie­rung oder Gen­der. Dem­entspre­chend viel­fäl­tig sind auch die hier vor­ge­stell­ten Quel­len. Sie rei­chen von schrift­li­chen Doku­men­ten wie Tage­buch­ein­trä­gen, Brie­fen und Erin­ne­rungs­be­rich­ten bis hin zu Video­in­ter­views, Foto­gra­fien und Musikstücken.

Die Geschich­te von Ver­fol­gungs­pro­zes­sen aller Art wird bis heu­te haupt­säch­lich durch von Täter:innen hin­ter­las­se­ne Quel­len rekon­stru­iert. Die­se Doku­men­te kön­nen einen tie­fen Ein­blick in die Pla­nung und Durch­füh­rung der Ver­fol­gung bie­ten. Doch wie etwa die His­to­rio­gra­phie zur Geschich­te des Holo­caust in den letz­ten Jahr­zehn­ten gezeigt hat, genügt es nicht, die Geschichts­schrei­bung eines Ver­fol­gungs­pro­zes­ses rein auf Täter:innenquellen zu stüt­zen. Neben den indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen der Ver­folg­ten wird durch die­sen Fokus auch die Kom­ple­xi­tät von Ver­fol­gungs­prak­ti­ken ver­kannt. Eng ver­bun­den mit die­sem Per­spek­tiv­wech­sel ist das Kon­zept der „inte­grier­ten Geschich­te” des His­to­ri­kers Saul Fried­län­der. Fried­län­der zufol­ge kann sich die Geschich­te des Holo­causts nicht auf deut­sche Ent­schei­dun­gen und Hand­lun­gen beschrän­ken, son­dern muss auch die Initia­ti­ven und Reak­tio­nen der betrof­fe­nen Indi­vi­du­en und Grup­pen in den Blick neh­men. Einen wich­ti­gen Zugang bie­ten dafür Selbst­zeug­nis­se von ver­folg­ten Per­so­nen. Durch die Arbeit mit die­sen Ego-Doku­men­ten ergibt sich die Mög­lich­keit, die indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen und Hand­lun­gen der Opfer her­aus­zu­ar­bei­ten. Dazu gehö­ren bei­spiels­wei­se ihre Wahr­neh­mun­gen und Emo­tio­nen sowie ihr All­tag, aber auch Hand­lungs­spiel­räu­me und wider­stän­di­ges Ver­hal­ten. All dies sind Aspek­te, die wir aus den Doku­men­ten der Täter:innen kaum erschlie­ßen kön­nen. Nicht zuletzt hilft uns die­se Per­spek­ti­ve auch, Ver­fol­gungs­pro­zes­se ins­ge­samt bes­ser zu ver­ste­hen. So geben uns die hin­ter­las­se­nen Quel­len tie­fe­re Ein­bli­cke in das Ver­hal­ten von Kollaborateur:innen oder so genann­ten Bystander:innen und ermög­li­chen einen ande­ren Blick auf Geschichte.

Der Fokus der Online-Platt­form liegt auf der Geschich­te des 19. und 20. Jahr­hun­derts. Die extre­me Gewalt­ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts wur­de zurecht bereits häu­fig her­vor­ge­ho­ben. Mit sei­nen teils geno­zi­da­len Ver­fol­gungs­dy­na­mi­ken kann es auch als Jahr­hun­dert der Ver­fol­gung gel­ten. Insti­tu­tio­nel­le Vor­aus­set­zun­gen die­ser Dyna­mi­ken präg­ten aller­dings schon das 19. Jahr­hun­dert. So sind Schlüs­sel­ideo­lo­gien wie der moder­ne Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus und die Her­aus­bil­dung moder­ner büro­kra­ti­scher Appa­ra­te samt tech­ni­scher Zwangs- und Kon­troll­me­cha­nis­men bereits hier wie­der­zu­fin­den. Das 19. und 20. Jahr­hun­dert umfas­sen daher eine Zeit­span­ne, die es mög­lich macht, fun­da­men­ta­le Dyna­mi­ken von Ver­fol­gung nach­zu­voll­zie­hen und her­aus­zu­ar­bei­ten. Dabei ver­lau­fen Kon­ti­nui­tä­ten von Ver­fol­gungs­ge­schich­ten über klas­si­sche Peri­odi­sie­run­gen wie Regie­rungs­wech­sel oder Epo­chen­gren­zen hin­aus und hin­ter­fra­gen die­se somit.

Gesucht wer­den Bei­trä­ge mit einer Län­ge von 1.200−1.600 Wör­tern, die sich exem­pla­risch mit einem eigens aus­ge­wähl­ten Selbst­zeug­nis einer ver­folg­ten Per­son aus­ein­an­der­set­zen. Die bespro­che­ne Quel­le wird außer­dem als Digi­ta­li­sat auf der Web­site zugäng­lich gemacht. Im Mit­tel­punkt soll das Selbst­zeug­nis als geschichts­wis­sen­schaft­li­che Quel­le ste­hen. Die bespro­che­nen Quel­len soll­ten ent­we­der in der Zeit der Ver­fol­gung selbst ver­fasst wor­den sein oder einen Bezug zur Ver­fol­gung her­stel­len. Die Bei­trä­ge soll­ten grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen zu den jewei­li­gen Poten­tia­len und Gren­zen der vor­ge­stell­ten Quel­le ent­hal­ten und die­se in den his­to­ri­schen Kon­text ein­ord­nen. Dar­über hin­aus könn­ten fol­gen­de Fra­gen the­ma­ti­siert werden:

  • Wel­che neu­en Per­spek­ti­ven eröff­nen uns die Quel­len auf die Geschich­te der jewei­li­gen Verfolgung?
  • Wel­che emo­ti­ons- und erfah­rungs­ge­schicht­li­chen Zugän­ge zur Ver­fol­gungs­pra­xis sind mög­lich? Wie nah­men die Indi­vi­du­en ihre Ver­fol­gung war?
  • Wel­che Aus­sa­gen über Agen­cy las­sen sich tref­fen? Wel­che Gegen­stra­te­gien ent­wi­ckel­ten die Verfolgten?

In die­ser Call-Run­de sind wir außer­dem beson­ders inter­es­siert an Beiträgen,

  • wel­che die Kate­go­ri­sie­rung der bespro­che­nen Quel­len als Selbst­zeug­nis­se dezi­diert reflek­tie­ren. Zu fra­gen wäre bspw., was ein Selbst­zeug­nis aus­macht und war­um und unter wel­chen Fra­ge­stel­lun­gen die bespro­che­ne Quel­le als sol­ches ein­zu­stu­fen ist.
  • die sich mit nicht-schrift­li­chen Quel­len und ihren Poten­tia­len als Selbst­zeug­nis befas­sen. Zu nen­nen sind hier­bei bspw. Selbst­por­träts, Musik­stü­cke oder fil­mi­sche Werke.
  • die sich mit Ver­fol­gungs­dy­na­mi­ken im 19. Jahr­hun­dert und dem frü­hen 20. Jahr­hun­dert auseinandersetzen.

Vor­schlä­ge für Bei­trä­ge sen­den Sie bit­te mit einem kur­zen Expó­se sowie Lebens­lauf bis zum 15. Mai 2024 an das Redak­ti­ons­team unter redaktion@selbstzeugnisse-revisited.de.

Das Pro­jekt ist einer der Gewin­ner der inter­na­tio­na­len Ver­an­stal­tung HistoryLab2022 des IBB Dort­mund und wird mit finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung des Aus­wär­ti­gen Amtes durchgeführt.

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