Einen Spielfilm als Selbstzeugnis zu bewerten, scheint im ersten Moment unser Verständnis der Quellengattung zu weiten und möglicherweise zu brechen.1 Kann ein Kooperationsprodukt diverser Kunstschaffender Auskunft über die Gedanken und Gefühle eines einzelnen Menschen geben? Welche Erkenntnispotenziale ergeben sich daraus? Die exemplarische Auseinandersetzung mit dem Melodram Ehe im Schatten bietet eine mögliche Antwort auf diese Fragen.
Das Werk wirkt aus heutiger Perspektive paradox. Ein Film aus dem Jahr 1947 im Stil der nationalsozialistischen Ufa-Produktionen, der einem deutschen Publikum Szenen der Verfolgung der jüdischen Mitbürger:innen vorführte und gleichzeitig vorwarf. Der DEFA-Film wurde jedoch mit diesem Konzept einer der erfolgreichsten Filme der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit und erhielt 1948 als bester deutscher Film einen der ersten Bambis.2 Den Stoff liefert das Exposé zur Erzählung Es wird schon nicht so schlimm! des Regisseurs und Schauspielers Hans Schweikart.3 Auf wenigen Seiten verarbeitet er dort den Suizid des bekannten UfA-Schauspielers Joachim Gottschalk und dessen – qua jüdischer Abstammung verfolgten – Frau Meta Wolff im Jahr 1941 zu einem Lehrstück und zu einer Anklage der apathischen Zuschauer:innen des Nationalsozialismus.4 Schweikart übersandte es Kurt Maetzig, der – als Sohn einer Mutter jüdischer Abstammung und eines „arischen“ Vaters – diese Erfahrungen teilte. Maetzig selbst war 1937 aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen worden und musste den Suizid seiner Mutter in den letzten Kriegsjahren erleben.5 Später erinnert sich Maetzig, zu diesem Zeitpunkt dann einer der prägendsten Regisseure der DDR, an die erste Lektüre des Exposés Schweikarts: „Hier sah ich die Möglichkeit, all das zu artikulieren, was ich erlebt und empfunden hatte“.6 Maetzig entschloss sich, das Exposé zum Drehbuch umzuarbeiten. Ehe im Schatten wird zu einer biografischen Fiktion des Lebens der Gottschalks, die von den persönlichen Erfahrungen beider Autoren – Schweikart und Maetzig – geprägt ist.
Porträt eines Schicksals
Ehe im Schatten erzählt die Geschichte der aufstrebenden jüdischen Schauspielerin Elisabeth Mauerer (gespielt von Ilse Steppat) und ihres „arischen“ Kollegen Hans Wieland (gespielt von Paul Klinger) von 1933 bis zum gemeinsamen Selbstmord 1943 in mehreren Episoden. Hans heiratet Elisabeth im Jahr der Machtübernahme, auch um sie vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu schützen. Während Hans Erfolge feiert, bleibt Elisabeth die weitere Ausübung ihres Berufs untersagt. Von ihrer Umwelt entfremdet und der dauerhaften Bedrohung ausgesetzt, muss sie sich immer weiter in die gemeinsame Wohnung zurückziehen. Die Zeit schreitet voran und Hans wird zum Wehrdienst eingezogen, während geliebte Freund:innen im Untergrund verschwinden. Als Hans 1943 von der Front zurückkehrt, überzeugt er Elisabeth, ihn auf eine Premierenfeier zu begleiten. Dort macht ein alter Bekannter das Paar mit einem Staatssekretär aus dem Propagandaministerium bekannt. Dieser erfährt im Nachhinein von Elisabeths jüdischer Abstammung und ordnet ihre Deportation an. Um der Deportation zuvorzukommen, begehen Hans und Elisabeth gemeinsam Selbstmord.
Maetzigs Motivationen
In einer in den Jahren 1977 und 1978 geführten Gesprächsreihe konkretisiert Maetzig die emotionale Verarbeitung seiner Familiengeschichte in Ehe im Schatten. Er spricht dort von der Menschenwürde seiner Eltern, die er durch die geheimen Treffen der beiden nach ihrer formalen Scheidung verletzt sah. Er – Kurt Maetzig – habe diese Scheidung nicht gebilligt und betont, dass seine Eltern eben nicht wie die Gottschalks „mit aller Konsequenz bis zum Ende gegangen“ seien. Darum sei der Film für ihn nicht nur ein Zwiegespräch mit dem Publikum, sondern auch eine Polemik an seinen Vater. Er wirft ihm vor, nicht an der Seite seiner Mutter geblieben zu sein. Maetzig selbst dagegen hatte – laut eigener Aussage – nach ihrer Scheidung eine gemeinsame Wohnung mit seiner Mutter bezogen.7
Über diese private Motivation hinaus hat der Film auch eine politische Dimension. Maetzigs Anliegen war es, das deutsche Publikum mit diesem Film im Sinne seiner Überzeugungen aufzuklären. 20 Jahre nach der Entstehung des Films schrieb er: „Es lag auch in meiner Absicht, die Menschen aus der Umgebung des Ehepaars Wieland anzuklagen, ihre Feigheit, ihren Mangel an Zivilcourage und manchmal auch nur die Trägheit des Herzens. Die Trägheit trifft auch das Ehepaar Wielands selbst. […] Das war damals eine sehr typische Haltung des deutschen Bürgertums oder wenigstens eines Teils, der sich in keiner Weise mit den Nazis identifizierte, aber zwischen den Fronten zerrieben wurde.“8 Zunächst zeigt sich hier Maetzigs Kritik an einem konformen Bürgertum. Gleichzeitig ähnelt seine Analyse der vor allem in späteren DEFA-Filmen gängigen sozialistischen Erzählung, wonach die gleichgültige bürgerliche Gesellschaft – inklusive des bürgerlichen Judentums – mitschuldig am Nationalsozialismus sei.9 Die Klasse wird zum bestimmenden Merkmal in der Schuldfrage, die Zugehörigkeit zu einer verfolgten Minderheit zweitrangig. Damit macht Maetzig den Film, der eigentlich die Schuld der Deutschen thematisiert, für diese anschlussfähig: Mit Hans Wieland findet sich das Porträt eines „anständigen Deutschen“ in der Hauptrolle. Gleichzeitig schafft der Film eine Erzählung, in der die Opfer ihr Schicksal mitverschulden.10 Ein Faktor, der sicher auch den enormen Erfolg des Films begünstigte.
Bei der Produktion stellten sich diverse äußere Anforderungen an Maetzig. Der Film markierte sein Debüt als Regisseur. Künstlerische Überlegungen führten zu einer Verfremdung des realen Stoffs. Maetzig porträtiert Elisabeth als kinderlose Frau, um ihre Einsamkeit in der Zeit von Hans Militärdienst zu betonen.11 Im Gegensatz dazu hatten die Gottschalks einen Sohn, den sie mit in den Tod nahmen. Ebenso wird die politische Verantwortung gegenüber der Sowjetischen Militäradministration und der SED eine Rolle gespielt haben. Maetzig war von Beginn an am Aufbau des Filmwesens in der Sowjetischen Besatzungszone beteiligt und wurde 1946 als Gründungsmitglied der DEFA eingesetzt.12 Diese war als kulturpolitischer Arm der SED unter Bereitstellung der materiellen Möglichkeiten durch die SMAD und unter deren Einfluss gegründet worden.13 Russische Kulturoffiziere förderten die deutsche Filmwirtschaft als wichtiges Massenmedium explizit als Werkzeug der Reeducation-Politik. Von ihnen ging ein Impuls aus, die deutsche Bevölkerung mit ihrer Schuld zu konfrontieren und politisch neu zu orientieren.14
Die Mehrstimmigkeit des Films
Neben diesen intrinsischen Motivationen und äußeren Anforderungen, die sich auf die Person Maetzig beziehen, wirkten an der Produktion des Films auch viele Filmschaffende mit, die ebenfalls ihre spezifischen Vorerfahrungen einbrachten. Durch sie wird der Film ein Spiegelbild seiner Entstehungszeit, deren Demarkationslinie zwischen dem 8. beziehungsweise 9. Mai 1945 und einem diffusen „Danach“ verläuft. Die Mitwirkenden und das von ihnen geprägte Endprodukt zeigen, dass dieser Übergang mehr ein Kontinuum darstellt als einen klaren Bruch. Am wohl offensichtlichsten wird dies in der Gesamtästhetik des Films, die mit großen Emotionen, neoromantischer Begleitmusik und dem Spiel mit Licht und Schatten stark an die Ufa-Produktionen des Nationalsozialismus erinnert. Ein Umstand, der Bertolt Brecht nach Ansicht des Films zum Ausruf „Was für ein schrecklicher Kitsch“ bewegt haben soll.15
Dieser Stil ist wenig überraschend, betrachtet man die für die ästhetische Ausgestaltung des Films zuständigen Personen. Wolfgang Zeller, der die Filmmusik zu einem der bekanntesten NS-Propagandafilme, Jud Süß, schuf, übernahm die musikalische Ausgestaltung von Ehe im Schatten. Mit der Produktion von Jud Süß teilte sich Ehe im Schatten auch den Regieassistenten Wolfgang Schleif. Otto Erdmann, der Filmarchitekt von Ehe im Schatten und auch Kameramann Friedl Behn-Grund waren an Ufa-Produktionen während des Nationalsozialismus beteiligt.16 Die fragwürdige Ähnlichkeit zur Ästhetik der nationalsozialistischen Filmwelt kulminiert in den Parallelen der (Selbst-)Mordszenen von Ehe im Schatten und dem NS-Euthanasie Propagandafilm Ich klage an, der ebenfalls von Friedl Behn-Grund gefilmt wurde. Beide Szenen bedienen sich sentimentaler Klaviermusik und frappierend ähnlicher Darstellungen der Klavierspielenden. Auch die Nahaufnahmen von Gift und Gefäß während die Ehemänner jeweils die tödliche Dosis hinzugeben und die folgenden Momente der Wirkung, in der die beiden Paare sich in weich-gezeichneter Naheinstellung in den Armen liegen, zeigen dieselbe filmische Handschrift.17
In Bezug auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen der Schauspielenden während des Nationalsozialismus kann man von einer Mehrstimmigkeit des Selbstzeugnisses Ehe im Schatten sprechen. Die beiden jüdischen Schauspieler Alfred Balthoff und Willy Prager überlebten den Nationalsozialismus im Deutschen Reich im Untergrund. In Ehe im Schatten verkörperte Prager nur zwei Jahre nach Kriegsende den Charakter Dr. Louis Silbermann, ein jüdischer Arzt und der Onkel Elisabeths, der schließlich aus dem Untergrund praktizieren muss. Balthoff spielte den jüdischen Schauspieler und Kollegen der Wielands, Kurt Bernstein, der ebenso wie Balthoff nur im Versteck überleben kann. Auch sie brachten ihre Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus mit in das Gesamtwerk Ehe im Schatten, indem sie teilweise spielten, was sie zuvor durchlebten.18
Der Spielfilm als Selbstzeugnis
Die Analyse von Ehe im Schatten als Selbstzeugnis zeigt das Erkenntnispotenzial des Spielfilms, aber auch die Ambivalenzen bei dem Versuch eine kohärente Erzählung für ein komplexes Werk zu finden. Durch die Kontextualisierung mit weiteren Quellen lassen sich Rückschlüsse auf die einzelnen Mitwirkenden ziehen, wenn deren Anteile aus dem Endprodukt herausgelöst werden. Aufgrund der Schlüsselposition Maetzigs ist das Erkenntnispotenzial für diesen besonders groß. In Ehe im Schatten verarbeitete er seine Familiengeschichte, die Wut auf seinen Vater und seine Auffassung der Schuld des deutschen Bürgertums. Schweikart nimmt als Autor der Vorlage ebenfalls eine Sonderrolle ein, denn seine Kontribution zum Film wurde im Schaffensprozess Maetzigs stark verfremdet. Die ursprüngliche Intension Schweikarts lässt sich in Ehe im Schatten noch erkennen, denn auch er klagte mit Es wird schon nicht so schlimm! ein apathisches bürgerliches Milieu an. Die nicht an der Konzeption des Drehbuchs beteiligten Mitwirkenden hatten in diesem Sinne eine „verminderte Sprechfähigkeit“, als dass sie den Rahmen, in dem sie sich ausdrückten, nicht selbst bestimmen konnten. Bei Ihnen können konkrete Gedanken und Intensionen nur vermutet werden. Ein Blick auf ihre Biografien ist dennoch lohnend, denn sie sind symptomatisch für eine gesellschaftliche Gemengelage, die sich am Set des Films widerspiegelte: Die Mehrheitsgesellschaft brach nach 1945 nicht mit dem Nationalsozialismus, während viele Verfolgte in diese Gesellschaft zurückkehren mussten. Über den Ausdruck eines einzelnen Schaffenden hinaus bietet der Film also die Möglichkeit, in die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge der Filmproduktion einzutauchen.
References
- Maetzig ließ die Formulierung im Titel dieses Beitrags in den Vorspann des Films aufnehmen, um den Zuschauenden einen demokratischen Impetus zu vermitteln. Kurt Maetzig, Filmarbeit. Gespräche, Reden, Schriften, Schriften der Sektion Darstellende Kunst / Akademie der Künste der DDR, Berlin 1987.
- Vgl. Christiane Mückenberger, Die ersten antifaschistischen DEFA-Filme der Nachkriegsjahre, in: Rainer Wa-terkamp (Hrsg.), Nationalsozialismus und Judenverfolgung in DDR-Medien, Schriftenreihe Medienberatung 4, Bonn 1996, S.11–25, S.18.
- Hans Schweikart, Es wird schon nicht so schlimm!, Berlin 2014.
- Vgl. Christiane Mückenberger, Zur Geschichte des DEFA-Spielfilms 1946–1949. Eine Dokumentation, Information – Hochschule für Film und Fernsehen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976, S.170–171.
- Vgl. Andrea Löw, Zwischen Kitsch und Aufklärung: Judenverfolgung als Melodram in Ehe im Schatten (1947), in: Johannes Hürter, Tobies Hof (Hrsg.), Verfilmte Trümmerlandschaften Berlin 2019, S.33–51. Christiane Mückenberger, Ingrid Poss, Das Prinzip Neugier. DEFA-Dokumentarfilmer erzählen, Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, Berlin 2012, S.18.
- Mückenberger, Zur Geschichte des DEFA-Spielfilms, S.170.
- Vgl. Maetzig, Filmarbeit, S.45.
- Zitiert nach: Christiane Mückenberger und Günter Jordan, „Sie sehen selbst, Sie hören selbst…“. Eine Geschichte der DEFA von ihren Anfängen bis 1949, Marburg 1994, S.77.
- Vgl. Lisa Schoß, Von verschiedenen Standpunkten. Die Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR, Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, Berlin 2023, S.110.
- Ebd., S.112, 115.
- Vgl. Maetzig, Filmarbeit, S.171.
- Vgl. Mückenberger und Jordan, Eine Geschichte der DEFA, S.22–23, 39.
- Ein Bericht der SMAD vom 9.Oktober 1946 bemerkt dazu: „Die Einflußnahme der SED auf Theater, Film und Rundfunk wird mit Hilfe der SMAD sowie einer entsprechenden Verteilung von SED-Kadern gewährleistet. So befindet sich die deutsche Filmgesellschaft „DEFA” dank der Mitarbeiterbesetzung und der regelmäßigen Hilfe der SMAD ganz unter dem Einfluß der SED.“. Dokument der SMAD zum Aufbau der DEFA, Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Moskau, 082÷30÷129÷21, Bl. 77–79, in: Horst Möller und Alexandr O. Tschubarjan (Hrsg.), Die Politik der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD): Kultur, Wissenschaft und Bildung 1945–1949. Ziele, Methoden, Ergebnisse. Dokumente aus russischen Archiven, München 2005, S.111–112.
- Vgl. Schoß, Von verschiedenen Standpunkten, S.58–59.
- Ebd., S.122–123.
- Vgl. Löw, Zwischen Kitsch und Aufklärung, S.37–39; Maetzig, Filmarbeit, S.47.
- Vgl. Schoß, Von verschiedenen Standpunkten, S.117–118.
- Ebd., S.85–87.